Erna Langer - Im Spiegel der Presse

Flüchtende Bauern aus Ostpreußen

Wiesbaden:

Bei den Heimatvertriebenen ist auch nach Jahrzehnten die Erinnerung an die Flucht noch wach

Von Wolfgang Degen

 

Auszug aus dem Artikel  im "Wiesbadener Tagblatt" vom 24.12.2014

 

"Mutter Küttner und ihr Kind stranden, nichts anderes ist es, in der Nähe von Luckau in der Mark Brandenburg. Über 500 Kilometer von der Heimat entfernt. Es dauert bis Ende 1948, dann kann Herbert Mutter und Bruder zum ersten Mal wieder in die Arme schließen.
„Die Älteren ab 40 aufwärts waren am härtesten von der Erfahrung, Flüchtling zu sein, betroffen“, meint Küttner. „Sie waren zuerst einmal nichts, für viele war es ein sozialer Abstieg.“ Bis heute engagiert er sich in der Landsmannschaft der Sudetendeutschen. Deren Schicksal wie das anderer Vertriebener und Flüchtlinge dürfe nie in Vergessenheit geraten. „Wenn noch weitere zehn Jahre, dann lebt von der Erlebnisgeneration niemand mehr“, sagt Küttner.
„Wir haben die Tragweite nicht erfasst“
Mit „Erlebnisgeneration“ meint er Menschen wie Erna Langer. 90 ist sie, aufgewachsen in Nestomitz, einem Dorf in der Nähe der nordböhmischen Stadt Aussig. Sie und ihre Eltern bleiben bei Kriegsende. Der Vater gibt sich der Illusion hin, dass es schon irgendwie weiter gehe. Man habe sich persönlich ja nichts zuschulden kommen lassen.
Andere denken nun aber auch in den Kategorien Sieger und Besiegte. Die Besiegten werden Zug um Zug für rechtlos erklärt, jetzt trifft es die Deutschen. Das Dasein als Flüchtling wird am Ende dieser Abwärtsspirale stehen.
Die Bauernfamilie arbeitet ab 1945 zunächst auf dem eigenen Hof als Knecht und Mägde, im Frühjahr 1946 werden sie umgesiedelt. Mit allem Hausrat. Sie glauben, auch weil sie das wollen, der Lüge der Sieger, dass es nur vorübergehend sein werde. „Wir haben die Tragweite nicht erfasst“, sagt Erna Langer. Um bei der Rückkehr nicht ohne Vorräte zu sein, vergraben sie Essbares auf dem Hof. Für ein halbes Jahr schuften sie in der Landwirtschaft.
Dann werden Erna und ihre Eltern in ein Sammellager gesteckt, ausgeplündert und in einen Zug verfrachtet. „Wer nicht so spurte, wie die Aufseher wollten, wurde verprügelt.“ Die Flüchtlinge sind der Willkür ausgeliefert, und ihnen wird klar, dass es keine Rückkehr ins Heimatdorf geben wird. Der Vater sei von da an ein gebrochener Mann gewesen, sagt Erna Langer.
Er sieht sein Leben zertrümmert. Sie landen, eher dem Zufall geschuldet, in einem kleinen Dorf bei Rudolstadt in  Thüringen. „Da waren wir nicht willkommen“, erinnert sich die 90-Jährige. Man habe keinen Platz, um sie unterzubringen, wurde den Flüchtlingen klar gemacht. Jeder Tag sei ein Existenzkampf gewesen, in einer Welt der Ablehnung: „Die Zigeuner kommen. Was glauben Sie, wie oft ich damals diesen Spruch gehört habe?“ Für ihre Verhältnisse seien sie in der Heimat wohlhabende Bauern gewesen, der Vater dort als Bürgermeister geachtet – und jetzt in der Fremde Vertriebene, Flüchtlinge. Nichts und niemand. Im Frühjahr 1947 setzt Erna Langer ihre Flucht fort. Sie geht in den Westen. Sie will eine dort eine bessere Zukunft finden.

Quelle: Wiesbadener Tagblatt / Lokales / Wiesbaden / Nachrichten Wiesbaden Nachrichten Wiesbaden 24.12.2014 Den kompletten Artikel finden Sie nachfolgend Wiesbaden: Bei den Heimatvertriebenen ist auch nach Jahrzehnten die Erinnerung an die Flucht noch wach (Wiesbadener Tagblatt, 24.12.2014)
Die Bilder sind der Webseite "Deutsches Historisches Museum" entnommen.

Erna Langer - Sie erinnert sich

Geboren     : 30. Aug. 1924

Geburtsort :  Nestomitz Kreis Aussig CSR

Wohnsitz   : Altenwohnanlage Klarenthal

 

Mit 18 Jahren ging ich ins Aussiger Krankenhaus zur Ausbildung als Krankenschwester. Ich konnte keine Prüfung ablegen, da die russische Militärmacht alles unterband. 1946 wurden wir (meine Eltern und ich) in offenen Viehwagons  aus der Heimat evakuiert und landeten in Rudolstadt in Thüringen.  Mit Gelegenheitsarbeiten hielten wir uns über Wasser. Wir ließen in der Heimat ein großes landwirtschaft- liches Gut mit Feldern, Wäldern, 100 Kühen und 4 Pferden und allem was dazu gehört, zurück. Die Papiere und Grundstücksnachweise wurden uns an der Grenze abgenommen. Damit haben wir unseren Hof, der 350 Jahre in Familienbesitz war, verlroen. Rechtlos, mit weißen Armbinden gekennzeichnet, waren wir sofort erkennbar und gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt.

Im Frühjahr 1947 flüchtete ich allein nach dem „goldenen Westen“: Über Harleshausen, Gera und landete ich letztendlich in Frankfurt/Main.

Mein 8 Jahre älterer Bruder hatte in Ossenheim/Friedberg geheiratet und nahm mich vorrübergehend auf. Trotz meiner Ausbildung als NS – Schwester, stellte mich kein Krankenhaus ein.

In Wiesbaden bewarb ich mich beim DRK und konnte schließlich 3 Jahre im städtischen Krankenhaus in der Schwalbacher Straße eine Tätigkeit aufnehmen.

1949 heiratete ich Willi Langer, einen Landsmann.

1952 kam mein Sohn Wolfgang und 1954 Tochter Ingrid zur Welt.

Mein Mann war schwer kriegsgeschädigt und sehr oft krank. Uns fehlte es an Geld, so dass ich bis 1970 in einer Fabrik arbeiten musste.

Wir wohnten seit 1966  in der Otto–Wels–Str. 52 (Hausnr. 46-56 waren die Wohnungen nur für Kriegsbeschädigte und Kriegerwitwen) .

Seit 1970 arbeitete mein Mann als Pförtner beim Stat. Landesamt in der Rheinstraße. Leider wurde ihm 1972 das Bein amputiert.

Ich schulte zur med. Fußpflegerin um und seitdem arbeitete ich bis zu meinem 72. Lebensjahr als selbstständige ambulante Fußpflegerin .

1969 gründete ich mit dem Ehepaar Köster die VDK-Ortsgruppe Klarenthal. Anfangs waren wir nur 70 Mitglieder und ich hatte die Aufgabe, regelmäßig den Mitgliederbeitrag von 2,- DM zu kassieren. Das war nicht immer einfach, denn 2,- DM waren damals viel Geld und nicht jedes Mitgied konnte sofort bezahlen.

1978 wurde ich in den Vorstand der „Sudetendeutschen Landsmannschaft“ gewählt. 1982 verstarb leider mein Mann.

Der Vorstandsarbeit blieb ich weiterhin treu und wurde 1999 zur Vorsitzenden gewählt.

2013 war für mich ein entscheidendes Jahr: es war Zeit meine Ämter in jüngere Hände zu legen. Danach konnte ich mich um die Pflege und Betreuung einer dementen Bekannten ( Landsmännin = 91J ) kümmern.

Dieser Betreuung komme ich heute sogar verstärkt nach:

5 X tgl. besuche und versorge ich diese Frau. Einkaufen, einschließlich dem Haushalt  mit Kochen, Bügeln und den alltäglichen Aufgaben verknüpft mit notwendigen Arztbesuchen bestimmen meinen derzeitigen Tagesablauf.