50 Jahre Klarenthal - 1964 -2014

Ein Rückblick auf die Anfänge

 

Vor 50 Jahren, am 11. September 1964, fand der erste Spatenstich für die Errichtung der Großsiedlung Klarenthal statt. Dies ist Anlass für Ortsbeirat, Dachverband und Volksbildungswerk an dieses Ereignis zu erinnern und auf 50 Jahre Klarenthal zurück zu blicken.

Der erste Spatenstich für die neue Siedlung

Georg Buch am 11.09.164

Der 11. September 1964 war ein wunderschöner Spätherbsttag. An diesem Tag sollte der erste Spatenstich für die neue Großsiedlung Klarenthal stattfinden. Auf dem Gelände oberhalb von der Klarenthaler Straße hatte man eine große Stellwand aufgestellt. Auf dieser stand folgender Text:

Nassauische Heimstätte GmbH

Klarenthal.
3.672 Miet- und Eigentumswohnungen.
328 Eigenheime..

Vor der Stellwand stand ein Rednerpult. Gegenüber dem Rednerpult hatte man eine Anzahl von Stühlen aufgestellt. Dort sollten die Ehrengäste Platz nehmen. Es war aber vorgesehen, dass die Bürger bei diesem feierlichen Akt auch anwesend sein sollten. Der hessischen Innenministers Heinrich Schneider eröffnete die Veranstaltung. Es folgte als Redner Oberbürgermeister Georg Buch und der Vorsitzende der Nassauischen Heimstätte Ewald Geißler.

Die Gäste an diesem historischen Tag

Nachdem die Reden beendet waren, erfolgte der erste Spatenstich. Dieser wird üblicherweise mit einem Spaten ausgeführt. Angesichts der Dimension einer Großsiedlung für 10.000 Einwohner fand man einen Spaten ziemlich unpassend. Für den ersten Spatenstich musste ein anderer „Spaten“ her. Als angemessen sah man eine große Maschine an, mit der man ein gewaltiges Stück Erde schieben konnte. So bestieg Oberbürgermeister Georg Buch eine Baumaschine und erledigte mit Bravour den ersten Arbeitsvorgang für die neue Siedlung.

Warum wurde eine Großsiedlung notwendig?

Die Baustelle

Als Folge des Zweiten Weltkrieges war Wiesbaden die Stadt mit dem dritthöchsten Wohnungsdefizit in der neugegründeten Bundesrepublik. Die Zerstörungen und Beschädigungen durch die Bombenangriffe waren in Wiesbaden zwar geringer als in anderen Städten, doch gerade deshalb fühlten sich viele von Wiesbaden angezogen, wodurch die Bevölkerungszahl in erheblichem Maße zunahm. Ziel der kommunalen Wohnungspolitik musste es deshalb sein, in möglichst kurzer Zeit angemessenen Wohnraum für alle Wohnungssuchenden zu schaffen, möglichst schnell über bezugsfertige Wohnungen zu verfügen.

 

In den fünfziger Jahren wurde ein Generalplan für Wiesbaden aufgestellt, in dem die Gebiete ausgewiesen wurden, die für die Errichtung von neuen Wohnsiedlungen geeignet waren. Aufgrund dieses Generalplanes bestimmte der Magistrat in seinen Sitzungen vom 1. Juli und 9. September 1960, dass im Biebricher Parkfeld, am Dotzheimer Schelmengraben und in Klarenthal drei Großsiedlungen geplant werden sollten.

 

Warum war man gerade auf Klarenthal gekommen?

 

Hier waren die Bedingungen für den Erwerb der notwendigen Grundstücksflächen besonders günstig. Das Gelände gehörte überwiegend nur einem Eigentümer, dem Nassauischen Zentralstudienfonds. Darüber hinaus war der Boden von seiner Qualität her nicht so gut, dass durch die Bebauung wertvolles landwirtschaftliches Gelände verlorengegangen wäre, und mit den rund 500 Kleingärtnern hoffte man zu einer raschen Einigung zu kommen.

 

Als Träger für das Vorhaben waren die Nassauische Heimstätte und die Stadt selbst über ihre Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften vorgesehen. Bereits am 13. Oktober 1960 lag die Magistratsentschließung der Stadtverordnetenversammlung vor, und diese fasste den entscheidenden Beschluss, einen Bebauungsplan aufstellen zu lassen. In diesem Beschluss waren alle wichtigen Vorgaben enthalten, dass die neue Siedlung am Hang liegen und dass die Talsohle unbedingt frei bleiben sollte, damit sie als Luftschleuse für die Wiesbadener Innenstadt erhalten blieb.

Professor Ernst May und Kollegen

Prof. Ernst May,

der „Vater“ von Klarenthal


Am 11. November 1960 bekam Prof. Ernst May den Auftrag, den Bebauungsplan zu erstellen für eine Siedlung mit ca. 4.000 Wohneinheiten, in der zukünftig rund 14.000 Einwohner leben sollten (70 Wohneinheiten pro Hektar). Die Planung sollte sich von November 1960 bis März 1962 hinziehen.

Prof. Ernst May ( 27. Juli 1886 in Frankfurt am Main - 11. September 1970 in Hamburg) war in den zwanziger Jahren Baudezernent der Stadt Frankfurt am Main gewesen und hatte dort in den Jahren zwischen 1925 und 1930 zigtausend neue Wohnungen geschaffen, um der damals bestehenden starken Wohnungsnot abzuhelfen. May war als Architekt Anhänger des ,,Neuen Bauens". Dazu führte er einmal aus:

Die Architekten des Neuen Bauens eint über alle Grenzen der Länder hinaus ein warm empfundenes Herz für alle Menschen in Not, sie sind ohne soziales Empfinden undenkbar, ja man kann geradezu sagen, daß diese Schar die sozialen Momente bewußt in den Vordergrund des Neuen Bauens stellt.

Sieben Großsiedlungen sind damals allein in Frankfurt am Main entstanden (u.a. Römerstadt, Praunheim, Westhausen, Bornheimer Hang, Höhenblick). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf die topographischen Gegebenheiten Rücksicht nehmen, dass ihre Struktur weitgehend durch die Landschaft und die Umgebung bestimmt wird, dass sie durch eine gewisse Großzügigkeit und Ruhe gekennzeichnet sind und dass den Grünflächen große Bedeutung beigemessen wird.

Wie May in den zwanziger Jahren trotz aller Sachzwänge die damalige Wohnungsnot optimal lösen konnte, so hoffte man, seitens der Stadt Wiesbaden, dass ihm dies auch in Wiesbaden in gleicher Weise gelingen werde, und deshalb hatte man damals Ernst May als Planer für die neue Siedlung ausgewählt. ,,Städtebau ist Landschaftssteigerung", so hatte er einmal erklärt, und das sollte auch in Wiesbaden-Klarenthal verwirklicht werden.

So sind die geistigen „Vorläufer" für Klarenthal heute noch in Frankfurt zu suchen und zu besichtigen. Sie stehen dort als in der Tat bedeutende Zeugnisse des Städtebaus der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts unter Denkmalschutz. Vielleicht wird nach 100 Jahren auch unsere Siedlung einmal als ein Beispiel für das Bauen in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ebenfalls unter Denkmalschutz gestellt werden, dann vielleicht sogar als Beispiel für den grünsten Stadtteil Wiesbadens.

Die Planungsphase

Prof. May musste bei seiner Planung verschiedene Vorgaben berücksichtigen. Da waren zunächst einmal die Grenzen des Planungsgebietes: im Westen die Bahnlinie Wiesbaden-Bad Schwalbach, im Osten die Klarenthaler Straße, im Süden die Flachstraße und im Norden die Lahnstraße. Zu beachten waren auch die topographischen Verhältnisse: das Gelände für die neue Siedlung bestand aus einem von Westen nach Osten abfallenden Hang, der von Nordwest nach Südost von einer Talmulde durchschnitten wird. Diese Talmulde sollte die Grenze zwischen dem Nord- und dem Südteil der neuen Siedlung bilden. Die topographischen Gegebenheiten führten zwangsläufig zu einer Terrassierung des Geländes. Unbedingt erhalten werden sollte jedoch der freie Blick zum Wald.

 

Ausgehend von der Terrassierung des Geländes sollten die Wohnbauten in sehr langgestreckten Gruppen parallel zu den Höhenschichten errichtet werden, so dass sich eine gewisse Staffelung der Bebauung ergab. Neben den langgestreckten Wohnbauten waren auch Punkthochhäuser vorgesehen sowie etwa 2 x 200 Einfamilienhäuser. Um einer Zersplitterung des Siedlungsgebietes entgegenzuwirken, wurde eine gewisse Raumbildung vorgenommen. Die grobe Einteilung bestand darin, dass im I. Bauabschnitt (Klarenthal-Nord) 2.000 öffentlich geförderte Wohneinheiten erbaut werden sollten, wohingegen der II. Abschnitt (Klarenthal-Süd) dem frei finanzierten Wohnungsbau vorbehalten werden sollte. Daneben wurden damals die Zentren für die notwendige Infrastruktur festgelegt, für die Versorgung, aber auch für Schulen und Kirchen, wobei ursprünglich u.a. vier Volksschulen geplant waren. Die Kosten wurden insgesamt auf 62 Millionen DM geschätzt, von denen 42 Mill. die Stadt Wiesbaden übernehmen wollte.

Professor Ernst May mit dem Modell von Klarenthal

Diese von Prof. May erstellte Planung führte dann zu einem Entwurf. Die Aufstellung des Bebauungsplanes dauerte vom 28. September 1961, dem Tag der entsprechenden Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung, bis zum 21. März 1964, dem Tag, an dem der Bebauungsplan rechtskräftig geworden war, an dem alle rechtlichen Bedenken gegen das Vorhaben beseitigt waren. Prof. May hatte ein Modell anfertigen lassen, das seine städteplanerischen Ideen zeigte.

 

Woher kommt der Name „Klarenthal“?


Bereits im Jahre 1963, also noch während der Planung, hatte man sich Gedanken um den Namen der neuen Großsiedlung gemacht. So wurde der Name ,,Bruderrode" genannt, der an den ersten urkundlichen Namen anknüpfte und der an die Benediktinermönche aus Kloster Selz im Elsaß erinnern sollte, die das Land einst gerodet hatten. Auch der Name ,,Wildereite", wurde in Betracht gezogen, der sich auf die Wellritz bezog. Doch schließlich wurde der Name ,,Klarenthal" gewählt, der an das einstige Kloster Klarenthal anknüpft. Dieser Name, der zunächst nur als Arbeitstitel vorgesehen war, setzte sich bald für die zukünftige Siedlung durch.

Der erste Bauabschnitt

Die Großbaustelle Klarenthal

Schon bald nach dem ersten Spatenstich rollten die Baufahrzeuge an. Zunächst wurden Baustraßen angelegt, Versorgungsleitungen verlegt, Anschlüsse vorgenommen. Entlang der heutigen Otto-Wels-Straße war der l. Abschnitt der Siedlung mit 520 Wohnungen vorgesehen. Um die sonst erforderliche Bauzeit zu kürzen, wurden die Häuser erstmals in Fertigbauweise errichtet, so dass die Bauzeit einer Wohneinheit in der Tat von 18 Monaten auf 4 verringert werden konnte.

 

Die ersten Bewohner ziehen am 26. Februar 1966 ein

Nach noch nicht einmal eineinhalb Jahren waren die ersten Häuser fertig gestellt und standen zum Einzug zur Verfügung. Am 26. Februar 1966 war es dann soweit: die ersten Mieter konnten einziehen. Es handelte sich um 24 Familien, denen vom Wohnungsamt die höchste Dringlichkeitsstufe zuerkannt worden war, weil sie in baufälligen, gesundheitsschädlichen Wohnungen hausen mussten, bei 16 Familien handelte es sich um Schwerkriegsbeschädigte und bei weiteren 16 um Jungvermählte. Der Einzug gestaltete sich mehr oder weniger chaotisch. Jeder wollte möglichst schnell in seine Wohnung. Die Möbelwagen standen in einer langen Reihe und blockierten sich gegenseitig. Es kam zu einem Auflauf, Streit entstand, so dass schließlich sogar die Polizei einschreiten musste, um den Verkehr zu regeln und einigermaßen Ordnung zu schaffen. Eine Anschrift hatten die ersten glücklichen Einwohner von Klarenthal nicht. Wer sie erreichen wollte, der musste z.B. schreiben: Straße E, Block 6, Haus 2.

Klarenthal heute

Resümee

Von 1964 bis 2014 sind nun 50 Jahre vergangen. In dieser Zeit ist Klarenthal mit seinen fast 10.000 Einwohnern zu einem beachtlichen Stadtbezirk der Landeshauptstadt geworden.

Im Laufe dieser fünf Jahrzehnte sind die infrastrukturellen Maßnahmen immer weiter verbessert worden. Mit den vorhandenen Schulen, den Kirchen, den Banken, Kulturzentren und Vereinen sowie den diversen Einkaufsmöglichkeiten ist Klarenthal bestens ausgestattet und bietet allen seinen Bewohnern dank der hervorragenden Lage am Rand der Großstadt die besten Voraussetzungen für ein gutes Wohnen und Leben.

 

Dr. Rolf Faber