Klarenthal als Wohnsiedlung
Die Wohnungsnot in Wiesbaden
Als Folge des Zweiten Weltkrieges war Wiesbaden die Stadt mit dem dritthöchsten Wohnungsdefizit in der neugegründeten Bundesrepublik. Die Zerstörungen und Beschädigungen waren in Wiesbaden zwar geringer als in anderen Städten, doch gerade deshalb fühlten sich viele von Wiesbaden angezogen, wodurch die Bevölkerungszahl in erheblichem Maße zunahm. Ziel der kommunalen Wohnungspolitik musste es deshalb sein, in möglichst kurzer Zeit angemessenen Wohnraum für alle Wohnungssuchenden zu schaffen, möglichst schnellüber bezugsfertige Wohnungen zu verfügen. In den fünfziger Jahren wurde ein Generalplan für Wiesbaden aufgestellt, in dem die Gebiete ausgewiesen wurden, die für die Errichtung von neuen Wohnsiedlungen geeignet waren. Aufgrund dieses Generalplanes bestimmte der Magistrat in seinen Sitzungen vom 1. Juli und 9. September 1960, dass im Biebricher Parkfeld, am Dotzheimer Schelmengraben und in Klarenthal drei Großsiedlungen geplant werden sollten.
Warum war man gerade auf Klarenthal gekommen? Hier waren die Bedingungen für den Erwerb der notwendigen Grundstücksflächen besonders günstig. Das Gelände gehörte überwiegend nur einem Eigentümer, dem Nassauischen Zentralstudienfonds. Darüber hinaus war der Boden von seiner Qualität her nicht so gut, dass durch die Bebauung wertvolles landwirtschaftliches Gelände verlorengegangen wäre, und mit den rund 500 Kleingärtnern hoffte man zu einer raschen Einigung zu kommen. Als Träger für das Vorhaben waren die Nassauische Heimstätte und die Stadt selbst über ihre Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften vorgesehen. Bereits am 13. Oktober 1960 lag die Magistratsentschließung der Stadtverordnetenversammlung vor, und diese fasste den entscheidenden Beschluss, einen Bebauungsplan aufstellen zu lassen. In diesem Beschluss waren alle wichtigen Vorgaben enthalten, dass die neue Siedlung am Hang liegen und dass die Talsohle unbedingt frei bleiben sollte, damit sie als Luftschleuse für die Wiesbadener Innenstadt erhalten blieb.
Übertragung der Planung an Prof. Ernst May
Am 11. November 1960 bekam Prof. Ernst May den Auftrag, den Bebauungsplan zu erstellen für eine Siedlung mit ca. 4.000 Wohneinheiten, in der zukünftig rund 14.000 Einwohner leben sollten (70 Wohneinheiten pro Hektar). Die Planung sollte sich von November 1960 bis März 1962 hinziehen.
Prof. Ernst May war in den zwanziger Jahren Baudezernent der Stadt Frankfurt am Main gewesen und hatte dort in den Jahren zwischen 1925 und 1930 zigtausend neue Wohnungen geschaffen, um der damals bestehenden starken Wohnungsnot abzuhelfen. May war als Architekt Anhänger des ,,Neuen Bauens". Die politische Grundlage dieses städtebaulichen Konzepts war von der Forderung geprägt, jedem Menschen seine „Ration Wohnung" und seinen Anteil an Licht, Luft und Sonne zukommen zu lassen. Die Lösung der vorhandenen Wohnungsnot konnte nur durch Massenwohnbau erreicht werden, der sich durch Rationalisierung und Industriealisierung auszeichnete. Doch Bauen bedeutete für May mehr als die Schaffung von Wohnraum. Bauen wurde als Gesamtkunstwerk begriffen, das das Leben der Bewohner mit einschloss.
Sieben Großsiedlungen sind damals allein in Frankfurt am Main entstanden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf die topographischen Gegebenheiten Rücksicht nehmen, dass ihre Struktur weitgehend durch die Landschaft und die Umgebung bestimmt wird, dass sie durch eine gewisse Großzügigkeit und Ruhe gekennzeichnet sind und dass den Grünflächen große Bedeutung beigemessen wird. Wie May in den zwanziger Jahren trotz aller Sachzwänge die damalige Wohnungsnot optimal lösen konnte, so hoffte man, seitens der Stadt, dass ihm dies auch in Wiesbaden in gleicher Weise gelingen werde, und deshalb hatte man damals Ernst May als Planer für die neue Siedlung ausgewählt. ,,Städtebau ist Landschaftssteigerung", so hatte er einmal erklärt, und das sollte auch in Wiesbaden-Klarenthal verwirklicht werden.
So sind die geistigen „Vorläufer" für Klarenthal heute noch in Frankfurt zu suchen und zu besichtigen. Sie stehen dort als in der Tat bedeutende Zeugnisse des Städtebaus der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts unter Denkmalschutz. Vielleicht wird nach fünfzig Jahren auch unsere Siedlung einmal als ein Beispiel für das Bauen in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts ebenfalls unter Denkmalschutz gestellt werden, dann vielleicht sogar als Beispiel für den grünsten Stadtteil Wiesbadens.
Die Planungsphase
Prof. May musste bei seiner Planung verschiedene Vorgaben berücksichtigen. Da waren zunächst einmal die Grenzen des Planungsgebietes: im Westen die Bahnlinie Wiesbaden-Bad Schwalbach, im Osten die Klarenthaler Straße, im Süden die Flachstraße und im Norden die Lahnstraße. Zu beachten waren auch die topographischen Verhältnisse: das Gelände für die neue Siedlung bestand aus einem von Westen nach Osten abfallenden Hang, der von Nordwest nach Südost von einer Talmulde durchschnitten wird. Diese Talmulde sollte die Grenze zwischen dem Nord- und dem Südteil der neuen Siedlung bilden. Die topographischen Gegebenheiten führten zwangsläufig zu einer Terrassie-rung des Geländes. Unbedingt erhalten werden sollte jedoch der freie Blick zum Wald. Ausgehend von der Terrassierung des Geländes sollten die Wohnbauten in sehr langgestreckten Gruppen parallel zu den Höhenschichten errichtet werden, so dass sich eine gewisse Staffelung der Bebauung ergab. Neben den langgestreckten Wohnbauten waren auch Punkthochhäuser vorgesehen sowie etwa 2 x 200 Einfamilienhäuser. Um einer Zersplitterung des Siedlungsgebietes entgegenzuwirken, wurde eine gewisse Raumbildung vorgenommen. Die grobe Einteilung bestand darin, dass im I. Bauabschnitt (Klarenthal-Nord) 2.000 öffentlich geförderte Wohneinheiten erbaut werden sollten, wohingegen der II. Abschnitt (Klarenthal-Süd) dem frei finanzierten Wohnungsbau vorbehalten werden sollte. Daneben wurden damals die Zentren für die notwendige Infrastruktur festgelegt, für die Versorgung, aber auch für Schulen und Kir¬chen, wobei ursprünglich u.a. vier Volksschulen geplant waren. Die Kosten wurden insgesamt auf 62 Millionen DM geschätzt, von denen 42 Mill. die Stadt Wiesbaden übernehmen wollte.
Diese von Prof. May erstellte Planung führte dann zu einem Entwurf. Die Aufstellung des Bebauungsplanes dauerte vom 28. September 1961, dem Tag der entsprechenden Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung, bis zum 21. März 1964, dem Tag, an dem der Bebauungsplan rechtskräftig geworden war, an dem alle rechtlichen Bedenken gegen das Vorhaben beseitigt waren. Prof. May hatte ein Modell anfertigen lassen, das seine städteplanerischen Ideen zeigte.
Bereits im Jahre 1963, also noch während der Planung, hatte man sich Gedanken um den Namen der neuen Großsiedlung gemacht. So fiel beispielsweise der Name ,,Bruderrode", der an den ersten urkundlichen Namen anknüpfte und der an die Benediktinermönche aus Kloster Selz im Elsaß erinnern sollte, die das Land einst gerodet hatten, oder der Name ,,Wildereite", der sich auf die Wellritz bezog. Doch schließlich wurde der Name ,,Klarenthal" gewählt und dieser, zunächst nur als Arbeitstitel vorgesehen, hatte sich bald für die zukünftige Siedlung eingebürgert.
Der erste Spatenstich am 11. September 1964
Nach diesen Vorarbeiten konnte endlich mit dem Bauen begonnen werden. Am 11. September 1964 fand in Anwesenheit des hessischen Innenministers Heinrich Schneider durch Oberbürgermeister Georg Buch der erste Spatenstich statt. Und dann rollten die Baufahrzeuge an. Zunächst wurden Baustraßen angelegt, Versorgungsleitungen verlegt, Anschlüsse vorgenommen. Entlang der heutigen Otto-Wels-Straße war der l. Abschnitt der Siedlung mit 520 Wohnungen vorgesehen. Um die sonst erforderliche Bauzeit zu kürzen, wurden die Häuser erstmals in Fertigbauweise errichtet, so dass die Bauzeit einer Wohneinheit in der Tat von 18 Monaten auf 4 verringert werden konnte.
Die ersten Bewohner ziehen am 26. Februar 1966 ein
Nach noch nicht einmal eineinhalb Jahren waren die ersten Häuser fertig gestellt und standen zum Einzug zur Verfügung. Am 26. Februar 1966 war es dann soweit: die ersten Mieter konnten einziehen. Es handelte sich um 24 Familien, denen vom Wohnungsamt die höchste Dringlichkeitsstufe zuerkannt worden war, weil sie in baufälligen, gesundheitsschädlichen Wohnungen hausen mussten, bei 16 Familien handelte es sich um Schwerkriegsbeschädigte und bei weiteren 16 um Jungvermählte. Der Einzug gestaltete sich mehr oder weniger chaotisch. Jeder wollte möglichst schnell in seine Wohnung. Die Möbelwagen standen in einer langen Reihe und blockierten sich gegenseitig. Es kam zu einem Auflauf, Streit entstand, so dass schließlich sogar die Polizei einschreiten musste, um den Verkehr zu regeln und einigermaßen Ordnung zu schaffen. Eine Anschrift hatten die ersten glücklichen Einwohner von Klarenthal nicht. Wer sie erreichen wollte, der musste z.B. schreiben: Straße E, Block 6, Haus 2.
Der weitere Ausbau
Errichtung einer Grundschule
Noch im gleichen Jahr nahm die Geschwister-Scholl-Schule ihren Schulbetrieb auf, so dass die Kinder wenigsten keinen weiten Schulweg hatten. Ein Jahr nach dem ersten Bezug erhielten die Anwohner auch eine eigene Buslinie, die allerdings nur bis zur Ringkirche führte. Damals wurde auch der erste Lebensmittelladen eröffnet. Aus den Kosten von 55.000,— bis 61.000,— DM pro Wohneinheit ergab sich ein Quadratmeterpreis von ca. 2,70 DM. Nach und nach wurde mit den Wohnungsbauten in Klarenthal-Nord fortgeschritten: Otto-Wels-Straße, Geschwister-Scholl-Straße, Graf-v.-Galen-Straße und die Hochhäuser in der Herman-Brill-Straße. Die Namen für die Straßen der neuen Siedlung hatte man aus dem Kreis der Widerstandskämpfer gegen die Nazidiktatur gewählt.
Erste kritische Stimmen
Nachdem die großen Wohnbauten in Klarenthal-Nord im Wesentlichen fertig gestellt worden waren, brach auf einmal heftige Kritik aus. Was war der Anlass? Dadurch, dass zunächst wenig Grün vorhanden war, beherrschte die graue Farbe der Wohnblöcke die Gesamtansicht der Siedlung. Wenn man von weitem auf Klarenthal schaute, glaubte man eine graue Betonfestung vor sich zu haben. Dieser in der Tat unfreundliche erste Eindruck führte zu der Vorstellung, man habe hier Massenwohnungen vor sich. Psychologisch ergab sich auch ein gewisser Angsteindruck, wenn man unmittelbar vor den großen Wohnblocks stand. Man hatte den Eindruck, den Überblick zur verlieren, in der Anonymität verlorenzugehen. Dazu kam noch, dass zunächst die Einrichtung der notwendigen Infrastruktur zurückgestellt worden war, dass der Zwang, möglichst schnell über bezugsfertigen Wohnraum zu verfügen, alle soziologischen Probleme, die Fragen des Zusammenlebens, in den Hintergrund gedrängt hatte. Ohne diese Einrichtungen war es aber nicht möglich, die aus vielen Stadtteilen hierher verzogenen Bürger zu Mitbürgern zu machen. So war in den Anfangsjahren ein Gemeinschaftsgefühl der Klarenthaler nicht vorhanden, daran hatte man auch seitens der Stadt gar nicht gedacht.
Was ebenfalls zu Klagen Anlass gab, das war die Tatsache, dass kein Konzept über die soziale Struktur der hier Neuangesiedelten bestanden hat. Als Folge davon war der Vorwurf zu hören, dass man sozial schwachen Familien in bevorzugten Lagen Wohnungen bot. So fasste man in der Verwaltung den Entschluss, durch eine besondere farbliche Ausgestaltung der Fassaden wenigstens den äußeren Eindruck etwas zu verändern, um gewissermaßen über diese kosmetische Veränderung auch die Stimmung der Menschen zu beeinflussen. Doch wurden die Pläne nicht verwirklicht.
Ausbau von Klarenthal Süd
Etwa 1971 hatte der Ausbau von Klarenthal Nord im Wesentlichen seinen Abschluss gefunden. Für die Erschließung der Siedlung waren bis dahin 45 Millionen DM, für Straßen 24,5 Millionen DM aufgewandt worden. Für den Ausbau von Klarenthal-Süd liefen die konkreten Planungen seit 1967. Nach und nach konnten auch dort die Wohnhäuser Richtfest feiern, beispielsweise die Häuser der Hamburg-Mannheimer Versicherung in der Carl-v.-Ossietzky-Straße am 29. September 1971, auch hier wurden bald die ersten freifinanzierten Wohnungen bezogen.
Eine weiterer Bauabschnitte betraf die Einfamilienhäuser in der Werner-Hilpert-Straße. Wenn man heute über die gesamte Siedlung fliegen würde, dann würde man sehen, wie sehr sich der Eindruck der ersten Jahre gewandelt hat, wie sich Klarenthal vom grauen, tristen Stadtteil, zum grünsten Stadtteil Wiesbadens entwickelt hat.
Neue Schulen
Nach und nach wurden auch Einrichtungen der Infrastruktur, der materiellen Versorgung, der geistlichen Betreuung geschaffen. Da ist zunächst an die Schulen zu denken. Am 1. Dezember 1966 begann der Unterricht in der Grund- und Hauptschule. Es waren turbulente Tage. Die ersten 150 Schüler mussten sich ihren Weg zwischen Baumaterialien und Baumaschinen zu ihren Klassenräumen, die in Pavillons untergebracht waren, bahnen. Noch während der Einweihungsfeier wurden die Schulmöbel abgeladen und in die Räume gebracht. ; Am 20. Dezember 1968 erhielt sie den Namen ,,Geschwister-Scholl-Schule".
1968/69 beschlossen die Städtischen Körperschaften die Errichtung einer zehnzügigen Gesamtschule für rd. 20 Millionen DM. Im Frühjahr 1971 wurde mit dem Bau begonnen, bereits im Oktober konnten die ersten zehn Klassen in die fertig gestellten Räume einziehen. Am 13. Oktober 1972 konnte die Schulanlage ihrer Bestimmung übergeben werden. Sie war zum damaligen Zeitpunkt die teuerste, aber auch die schönste Schule Wiesbadens. Da nicht nur die Absicht bestand, hier die ,,Schule von morgen" zu schaffen, sondern auch die Gesamtschule Klarenthal mit Einrichtungen für alle Bürger zu verknüpfen, wurde als erster Schritt am 20. September 1973 hier die Stadtteilbibliothek eröffnet. Als sinnvolle Ergänzung der Gesamtschule wurde 1978 das Oberstufengymnasium West eröffnet, das den Gymnasialzweig übernahm. Zwischen beiden Schulen besteht im Rahmen eines Schulverbundes eine enge Zusammenarbeit.
Auch für die Kleinsten war Vorsorge getroffen worden. 1969 war im Zentrum Nord der erste Kindergarten eingerichtet worden. Im Jahre 1974 folgten noch zwei Kindertagesstätten, im April die städtische in der Theodor-Haubach-Straße und im Oktober die der katholischen Kirchengemeinde.
Die Kirchen
Die Kirchen nahmen sich ebenfalls der Klarenthaler an. Bereits 1966 fand der erste katholische Gottesdienst in einem Klassenraum der neuen Schule statt. Seit Februar 1968 stand am Rande der Siedlung eine Notkirche aus Holz zur Verfügung. Noch sieben Jahre sollte es allerdings dauern, bis endlich das Gemeindezentrum eingeweiht werden konnte. Damals zählte die Gemeinde 4.500 Mitglieder. Die katholische Gemeinde hatte die heilige Klara als Patronin für ihre Gemeinde und für ihr Gotteshaus gewählt, um an die Tradition des ehemaligen Klosters Klarenthal anzuknüpfen. Die evangelische Gemeinde konnte ihr Gemeindezentrum bereits im September 1972 eröffnen.
Einkaufszentren
Möglichkeiten zum Einkaufen wurden in verschiedenen Zentren geboten, zunächst im Einkaufszentrum Nord, dann im Zentrum an der Hermann-Brill-Straße, im Einkaufszentrum Süd (1973) für die Versorgung des gesamten II. Abschnitts und schließlich im 1982/83 erbauten Zentrum Mitte. Hier fanden die Läden und Bankinstitute ein Unterkommen, die seit 1968 in Holzbaracken provisorisch an der Geschwister-Scholl-Straße untergebracht gewesen waren.
Nicht unerwähnt bleiben sollen die verschiedenen Altenwohnanlagen. Klarenthal ist zwar ein junger Stadtteil, in dem viele junge Familien mit ihren Kindern Wohnung fanden, Klarenthal ist aber auch Stadtteil, in dem viele ältere Mitmenschen ihren wohlverdienten Lebensabend verbringen.
Dass in einem Stadtteil, der auf der grünen Wiese errichtet wurde, ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Anwohner nicht vorhanden war, wie das in den anderen Stadtbezirken der Fall ist, die auf eine jahrhundertealte Entwicklung zurückblicken können, kann sich jeder leicht vorstellen. Die Menschen mussten sich erst einmal in ihrem neuen Lebenskreis zurechtfinden, sie mussten sich nach ihren jeweiligen Interessen zusammenfinden, und erst danach konnte daran gedacht werden, sich allmählich an Ge-meinschaftsaufgaben heranzuwagen.
Der Ortsbeirat
Für diese Aufgaben der Gemeinschaftsbildung boten sich zunächst die beiden Kirchengemeinden an. Die Versammlung um den Altar brachte auch die Menschen im Alltag zusammen. Daneben sind die politischen Parteien zu nennen. Die Übereinstim¬mung in politischen Fragen und Überzeugungen sorgte dafür, dass die Mitbürger zusammenfanden. Und es war der Sport, der das Gemeinschaftsgefühl stärkte. Nicht vergessen werden soll in diesem Zusammenhang auch die Arbeit des Volksbildungswerkes mit seinen Kursen, Vorträgen und dem Chor. An die Öffentlichkeit traten die Klarenthaler erstmals 1968 durch ihren massiven Protest gegen die hohen Heizkostenabrechnungen, die nach dem ersten kalten Winter ins Haus kamen und bei vielen Bewohnern Empörung auslösten. Am 13. Mai 1968 fand die erste Bürgerversammlung statt, in der die Klarenthaler ihre Sorgen und Nöte den Vertretern der städtischen Körperschaften vortragen konnten. Was sicher in besonderer Weise positiv zu der Bildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls, des Bewusstseins, Klarenthaler zu sein, beigetragen hat, das war im September 1970 die Anerkennung als selbständiger Stadtteil mit einem eigenen Ortsbeirat. Hier hatten die Klarenthaler ein eigenes, repräsentatives Gremium, dessen Zusammensetzung sie in freier Wahl selbst bestimmen konnten, hier war eine Institution, an die man sich wenden konnte, die auch aus eigener Kenntnis die besonderen Sorgen und Probleme dieses Stadtteils kannte und bemüht war, als Mittler zwischen den städtischen Körperschaften und der Bevölkerung vor Ort zu fungieren. Dass die Bewohner den Ortsbeirat als politische Institution akzeptierten, zeigen nicht nur die zahlreichen Besucher in den öffentlichen Sitzungen, sondern dies wird auch an den Wahlergebnissen deutlich. Der politische Wechsel ist selbst in einem solchen Gremium möglich. Die Bürger wissen, dass sie nicht nur „Stimmgeber" sind, sondern mit ihrer Stimme politischen Einfluss ausüben können; die Mitglieder des Ortsbeirats wissen aber auch, dass sie keine Honoratioren ohne Aufgaben sind, sondern sich um die Bürger bemühen müssen, wenn sie wiedergewählt werden wollen.
Das Gemeinschaftszentrum
Zur Gemeinschaftsbildung gehört auch das Gemeinschaftszentrum, das zum Mittelpunkt für Parteien, Vereine und Verbände, für jung und alt geworden ist. In ihm sieht auch der Dachverband aller Klarenthaler Vereine, der seit 1970 besteht, den Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Unter der Führung des Dachverbandes wird seit 1972 alljährlich das Sommerfest veranstaltet, das sich aus kleinsten, bescheidenen Anfängen inzwischen zu einer vielbesuchten Einrichtung entwickelt hat. Als besonderer Ausdruck für das gewachsene Zusammengehörigkeitsbewusstsein in Klarenthal ist sicher die Klarenthaler Fahne zu sehen.