Klarenthal eine Goethestätte?
In der Tat: Vor 200 Jahren besuchte der Dichter dreimal Klarenthal
Klarenthal kann in diesem Jahr auf ein besonderes Ereignis zurückblicken, das unter keinen Umständen in Vergessenheit geraten sollte:
Vor 200 Jahren weilte der Dichter Johann Wolfgang von Goethe in Klarenthal. Das ist in der Tat etwas ganz Besonderes, und wir Klarenthaler können durchaus ein wenig stolz auf dieses Ereignis sein. Sicher können wir uns in Klarenthal nicht mit den großen Goethe-Stätten vergleichen wie Frankfurt, Weimar, Jena, Karlsbad. Dass Goethe aber gerade in Klarenthal war, ist doch hervorzuheben, auch wenn er in seinem langen Leben sicher an viel bedeutungsvolleren Orten in Deutschland war.
Goethe weilte sogar dreimal in Klarenthal
Zweimal weilte Goethe zum Kur- und Badeaufenthalt in den Jahren 1814 und 1815 in Wiesbaden. Neben der Kur unternahm er zahlreiche Ausflüge in die weitere und nähere Umgebung. Hatte er 1814 insbesondere zwei Ausflüge in den Rheingau unternommen nach Rüdesheim und zur Einweihung der Rochuskapelle über Bingen sowie nach Winkel zur Familie Brentano, so war er 1815 noch unternehmungslustiger. Der Geisberg zog ihn damals am meisten an. Dort verbrachte er viele Abende bei der schönen Aussicht auf die Stadt und genoss das eine und andere Glas des „Eilfers“, also Wein aus dem Kometenjahr 1811. Er weilte aber auch auf dem Nürnberger Hof. Von der Platte ist mehrfach die Rede.
Dreimal weilte Goethe 1815 in Klarenthal. Wir können sogar die genauen Daten nennen: am 29. Juni, am 3. Juli und am 31. Juli 1815. Woher wissen wir das, so werden sicher einige fragen. Goethe führte regelmäßig Tagebuch und trug darin alles ein, was er den Tag über gemacht und erlebt hatte. So legte er vor sich selbst Zeugnis ab, um sein „tätiges Leben“ im Laufe der Jahre zu verfolgen. Diese Tagebücher liegen heute im Goethe- und Schillerarchiv in Weimar vor und sind auch veröffentlicht. So können wir beispielsweise auch heute noch genau seinen Tagesablauf in den Wochen nachverfolgen, die er in den beiden Jahren 1814 und 1815 in Wiesbaden verbracht hat..
Unter dem 29. Juni können wir im Tagebuch lesen: „..mit Cramers auf der Papiermühle.“ Am 3. Juli steht dort: „Mit Madame Bansa auf der Nonnenmühle.“ Und unter dem 31. Juli finden wir: „Auf der Nonnenmühle in Wiesbaden.“ Es steht zwar nicht ausdrücklich der Name Klarenthal im Tagebuch, sondern „Papiermühle“ und „Nonnenmühle“. Aber dennoch handelt es sich um Klarenthal. Mit der Bezeichnung „Nonnenmühle“ ist die heutige Gaststätte „Klostermühle“ gemeint. Bei der am 29. Juni von Goethe besuchten „Papiermühle“ handelte es sich um die von 1724 bis 1840 in den Gebäuden der ehemaligen Klarenthaler Klosteranlage betriebene Papiermühle.
Besuch der Papiermühle
Den Ausflug am 29. Juni 1815 unternahm Goethe mit der Familie des Oberbergrats Ludwig Wilhelm Cramer. Mit Cramer hatte Goethe gleich zu Beginn seines ersten Badeaufenthaltes 1814 in Wiesbaden Kontakt aufgenommen. Viele Abende verbrachte er in der Wohnung von Cramer. Er kam von seinem Hotel in der Langgasse und ging zum Wohnhaus von Cramer in der unteren Marktstraße, das etwa dort stand, wo sich heute der Taxistandplatz am Dern’schen Gelände befindet. Beide widmeten sich intensiv der mineralogischen Sammlung, die Cramer zusammengetragen hatte. Goethe, der zeit seine Lebens an der Geologie großes Interesse hatte und in Weimar selbst eine große Sammlung von Steinen zusammen getragen hatte, ließ sich von Cramer insbesondere die geologischen Verhältnisse des Nassauer Landes erklären. Natürlich wurde dabei auch die Vergangenheit berührt.
Cramer wird Goethe dabei auch von dem verlassenen Kloster Klarenthal erzählt haben und ihm von der derzeitigen wirtschaftlichen Nutzung als Papiermühle berichtet haben. Dadurch wird das Interesse Goethes geweckt worden sein, so dass man sich entschloss, am Nachmittag des 29. Juni einen Ausflug dorthin zu unternehmen. So fand schließlich der entsprechende Besuch der Papiermühle statt. Dass es ein Familienausflug war, geht aus den Worten „Mit Cramers“ hervor. Was Goethe dort im Einzelnen vorgefunden hat, darüber hat er im Tagebuch nichts überliefert. Wir wissen allerdings, dass jedenfalls dort Möglichkeiten vorhanden war, dass Goethe und die Familie Cramer eine Erfrischung zu sich nehmen konnten.
Goethe besucht die „Nonnenmühle“
Besonderer Erwähnung verdient ein Besuch auf der Nonnenmühle am 3. Juli 1815. Sie besuchte er in Gesellschaft von Frau Sophie Bansa aus Frankfurt. Sie gehörte dem Kreise um die Brentanos an. Ihr Ehemann war, wie Franz Brentano und manche andere Frankfurter, zugleich Kaufmann und Bankier. Sie wird auch als alte Freundin von Goethes Familie genannt. Sie muss schon öfter auf der Nonnenmühle gewesen sein, denn sie hatte Goethe vorgeschwärmt, dass er dort ein Mädchen finden werde, dass der Dorothea in Goethes Epos „Hermann und Dorothea“ ähnlich sei.
Goethe hatte in seinem Epos das Mädchen wie folgt beschrieben:
Denn der rote Latz erhebt den gewölbeten Busen,
Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an;
Sauber ist der Saum des Hemdes zur Krause gefaltet
Und umgibt ihr das Kinn, das runde, mit reinlicher Anmut;
Frei und heiter zeigt sich des Kopfes zierliches Eirund,
Und die starken Zöpfe um silberne Nadeln gewickelt;
Sitzt sie gleich, so sehen wir doch die treffliche Größe
Und den blauen Rock, der vielgefaltet, vom Busen
Reichlich herunterwallt zum wohlgebildeten Knöchel.
Ohne Zweifel, sie ist's. Drum kommet, damit wir vernehmen,
Ob sie gut und tugendhaft sei, ein häusliches Mädchen.
Goethe ließ sich zu einem Abstecher überreden und wollte sich selbst ein Bild machen. So fuhr er also am 3. Juli mit Frau Bansa aus der Stadt zur Nonnenmühle hinaus. Sie kehrten auch in der Gaststätte ein. Über den Ausflug nach der Nonnenmühle schreibt der Dichter am 6. Juli 1815 in einem Brief an Antonie von Brentano nach Winkel:
,,Mad. Bansa hat Wort gehalten und mir das Mädchen producirt, das allenfalls für Dorotheens jüngere Schwester gelten könnte. Gestalten, die nicht aus der Luft gegriffen sind, müssen sich doch wohl hie und da auf der Erde wieder finden. Die Umgebung des Mädchens ist auch schön und bedeutend. Mutter, Geschwister, Tante, Mühle und Feldgüter, enge reinliche Wohnung, wohlgeordnete Landwirthschaft im beschränckten Hofe. Es macht zusammen ein so hübsches Ganze, als man nicht leicht findet.“
Goethes „Dorothea“ auf der „Nonnenmühle“
Die Mühle hatte 1792 ein Johannes Reinhard aus Nastätten für 2.000 fl. (= Gulden) gekauft. Als er 1813 im Alter von 45 Jahren starb, hinterließ er eine Witwe mit einer Schar Kinder; die drei ältesten waren Söhne, welche der Mutter bei dem Betrieb ihres Geschäftes hilfreich zur Seite stehen konnten; es folgte eine Tochter, Katharine Eleonore, geb. am 30. April 1797, die also zu der Zeit, als Goethe hier weilte, ein Mädchen von 18 Jahren war. Die anderen Töchter waren jünger. Katharine Eleonore half der Mutter im Haushalt und bei der Bewirtung der Gäste und unterstützt sie bei der Erziehung der jüngeren Geschwister. Das alles konnte der Dichter feststellen und dadurch rief sie bei Goethe das Bild seiner Dorothea vor Augen.
Die Begegnung mit dem Mädchen muss ihn dann doch mehr berührt haben, als er dies in dem Brief geschildert hat. Nach dem Ende seines Kuraufenthaltes in Wiesbaden hielt er sich noch einige Tage in Frankfurt auf. Am 17. September 1815 erzählte er in einer Gesellschaft den Frankfurter Freunden von der schönen Müllerstochter auf der Nonnenmühle bei Wiesbaden, mit der ihn Frau Bansa bekannt gemacht habe, als einem Gegenstück zu seiner Dorothea:
,,Reinlichkeit, Wohlhabenheit, Schönheit, Derbheit. Sie spielt Klavier, die Brüder sind zugleich Fuhrleute, eine alte Mutter steht dem Hause vor. Eine alte Muhme ist der Apotheker aus "Hermann und Dorothea“ und recht gut, Sie hat noch eine Anzahl Geschwister.“
Vorbeifahrt am 31. Juli
Noch einmal sah Goethe während seines Aufenthaltes in Wiesbaden die Klarenthaler Nonnenmühle, es war auf der Rückreise von seiner Reise nach Nassau an der Lahn am 31. Juli. Goethe war auf Einladung des Reichsfreiherrn Karl vom und zum Stein nach Nassau gereist und mit seinem Gastgeber weiter nach Köln. Auf der Rückreise fuhr er über Schwalbach nach Wiesbaden und kam so an der Nonnenmühle vorbei. Ob er damals in der Gaststätte einkehrte, ist nicht überliefert. Die Worte „Auf der Nonnenmühle“ könnten allerdings darauf hinweisen. Jedenfalls vergisst Goethe die Nonnenmühle nicht und notiert die Tatsache, dass er an ihr vorbeigefahren war.
Katharine Eleonore heiratete übrigens später den Besitzer des ehemaligen sog. Mahrischen Hofes in der Kirchgasse Jakob Wilhelm Mahr und nach dessen am 17. November 1832 erfolgten Tode im Jahre 1838 den Badewirt Philipp Daniel Herber; sie starb, zum zweiten Mal verwitwet, am 23. Oktober 1872.
Im Hinblick auf die Vielfalt der Ereignisse, die die drei Besuche Goethes in Klarenthal umfassen, lohnt es sich doch, auf diese besonderen Tage in der Vergangenheit unseres Stadtteils hinzuweisen.
Aus Anlass von „200 Jahre Goethe in Klarenthal“ veranstaltet das Volksbildungswerk Klarenthal am 8. Mai 2015 einen Rundgang durch Klarenthal auf Goethes Spuren.