Wiesbadener Tagblatt - Ausgabe vom 03. September 1985

Krisenstab: 46 Wärmetauscher defekt

Bürgermeister Dr. Wallmann schickte Rundschreiben an Betroffene/„Aus" für Hydrazin

I. S.—Bestandsaufnahme  in Klarenthal in Sachen Hydrazin im Trinkwasser, das aus dem Warmwasser-Hahn kommt: Lokalisiert sind jetzt an die 500 Wohnungen und Einfamilienhäuser, die unter ungünstigen Umständen die giftige Chemie frei Haus geliefert bekamen. Nach einer Überprüfung von allen vorhandenen  560 Anschlüssen ans Fernheizwerk stieß man auf 46 defekte Wärmetauscher, die jetzt repariert werden müssen.
Wie lange schon  Hydrazin ins Warmwasser gelangte -  Kaltwasser war nur in
der Grundschule Klarenthal verseucht — läßt sich im nachhinein nicht mehr ausmachen. Wer zu denen zählt, die mit giftiger Chemie im Wasser beliefert wurden, fand gestern im Briefkasten ein Schreiben, von Bürgermeister Dr. Wallmann unterzeichnet,  in dem  erklärt  wurde, warum  die Warmwasser-Versorgung bis auf weiteres außer Betrieb bleibt.
Dr. Wallmann leitete den großen Krisenstab, der gestern tagte. ESWE-Bedienstete (bis  hin  zu  Vorstands-Mitglied  Heinz Lorch) und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes berieten, was nach Lage der Dinge zu tun ist. Zunächst erklären Techniker, daß nicht mit jedem defekten Wärmetau-
scher unweigerlich Hydrazin ins erwärmte Tririkwasser gelangt sein muß.  Im Allgemeinen  lägen die  Druckverhältnisse im Trinkwassernetz höher als im Netz des Fernheizwerkes, so daß unter günstigen Verhältnissen kein Austausch standfand.
Trotzdem wird allen Betroffenen  empfohlen -  die  durch das  Bürgermeister-
Rundschreiben  davon  Kenntnis  haben, daß sie zu den potentiell Gefährdeten gehören -  sich in der Turnhalle der Grundschule Klarenthal untersuchen zu lassen, wo das Gesundheitsamt der Stadt Wiesbaden  vorübergehend  seine  Zelte  aufgeschlagen hat. Leber und Nieren können ge
schädigt sein—mit Untersuchungen ist der Nachweis zu führen.
Wenn bislang bei 2100  Untersuchungen in zehn Fällen Alarm geschlagen wurde, so glaubt man beim Gesundheitsamt in der Zwischenzeit zu wissen, daß in vier Fällen nicht unbedingt Hydrazin als Ursache einer krankhaft veränderten Funktion von Leber und Nieren auszumachen  ist. Bei zwei Kindern sei man darauf gekommen, daß sie am Pfeiffer'schen Drüsenfieber erkrankten, zwei Erwachsene sollen unter chronisch  gestörter  Nierentätigkeit  leiden. Einer von ihnen habe gar nur eine Niere.
Unternommen wurde der Versuch, Hydrazin mit Chlor zu neutralisieren. Die toxikologische  Unbedenklichkeit  dieser Maßnahme wird man sich bescheinigen lassen. Bis heute, 11 Uhr, sollen die entsprechenden  Analysen  abgeschlossen werden. Zugleich sorgt ein Farbstoff im Heizungswasser dafür, daß jetzt noch auftretende Pannen nicht unentdeckt bleiben. Sicher ist, daß in der Zukunft das Korrosionsschutzmittel  Hydrazin  dem  Heizungswasser nicht mehr beigegeben wird.

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